Die Ertragswertmethode im Handwerk: So ermitteln Sie den Unternehmenswert Ihres Betriebs

23.08.2025

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Die Ertragswertmethode nach AWH-Standard ist das bewährteste Verfahren, um den Unternehmenswert im Handwerk zu berechnen. Dieser Leitfaden zeigt Ihnen Schritt für Schritt, wie Sie eine präzise Firmenbewertung berechnen — von der Ermittlung kalkulatorischer Kosten bis zur praktischen Anwendung bewährter Faustformeln. Als Handwerksunternehmer erhalten Sie konkrete Werkzeuge zur Unternehmensbewertung und verstehen, warum diese Methode von Banken, Steuerberatern und der Finanzverwaltung anerkannt wird.

Was ist die Ertragswertmethode und warum sollten Sie als Handwerker diese kennen?

Stellen Sie sich vor: Ihr Handwerksbetrieb ist wie ein gut geöltes Werkzeug — sein wahrer Wert liegt nicht nur in den Maschinen und Werkzeugen, sondern vor allem in seiner Fähigkeit, kontinuierlich Einkommen zu erzeugen. Genau das misst die Ertragswertmethode.

Die Ertragswertmethode ist das Standardverfahren zur Unternehmensbewertung im Handwerk. Sie berechnet den Unternehmenswert anhand der zukünftigen Ertragskraft und berücksichtigt dabei handwerkstypische Besonderheiten wie Inhaberabhängigkeit und Betriebsrisiken.

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Warum ist die Ertragswertmethode für Handwerksbetriebe so wichtig?

  • Banken akzeptieren sie: Für Kredite und Finanzierungen
  • Steuerberater nutzen sie: Bei Betriebsübergaben und Erbschaftsfällen
  • Käufer verstehen sie: Als nachvollziehbare Bewertungsgrundlage
  • Versicherungen anerkennen sie: Für Betriebsausfallversicherungen

Die AWH-Methode (Arbeitsgemeinschaft der Wertermittelnden Betriebsberater im Handwerk) wurde speziell für die Besonderheiten von Handwerksbetrieben entwickelt und ist heute der Goldstandard für die Unternehmensbewertung im Handwerk.

Die AWH-Formel: Wie Sie den Unternehmenswert berechnen

Die Grundformel der Ertragswertmethode

Die Berechnung des Unternehmenswerts nach der AWH-Methode folgt einer klaren, wissenschaftlich fundierten Formel:

Ertragswert = Gewichtetes Betriebsergebnis ÷ Kapitalisierungszinssatz

Aufgeschlüsselt bedeutet das:

Ertragswert = (0,1×BE₋₃ + 0,2×BE₋₂ + 0,3×BE₋₁ + 0,4×BE₀) ÷ (r + z)

Wobei:

  • BE = Bereinigte Betriebsergebnisse der letzten vier Jahre
  • r = Basiszinssatz
  • z = Risikozuschläge (inklusive Inhaberabhängigkeit)

Faustformel für eine schnelle Unternehmenswert-Schätzung

Für eine erste, grobe Einschätzung können Sie folgende Faustformel verwenden:

Unternehmenswert ≈ Jahresgewinn × 3 bis 8

Der Multiplikator hängt ab von:

  • Branche und Marktposition (3-5 für traditionelle Gewerke)
  • Inhaberabhängigkeit (je höher, desto niedriger der Multiplikator)
  • Betriebsgröße (größere Betriebe erzielen höhere Multiplikatoren)
  • Zukunftsaussichten (wachsende Märkte = höhere Bewertung)

Achtung: Diese Faustformel ersetzt keine professionelle Bewertung, gibt Ihnen aber eine erste Orientierung.

Schritt-für-Schritt-Anleitung: Unternehmenswert ermitteln

Schritt 1: Bereinigte Betriebsergebnisse ermitteln

Zunächst müssen Sie Ihre Jahresergebnisse der letzten vier Jahre "bereinigen":

Was Sie hinzurechnen:

  • Außerordentliche Aufwendungen (einmalige Schäden, Verluste)
  • Zu hohe Geschäftsführergehälter bei GmbHs
  • Private Nutzungsanteile (Fahrzeuge, Telefon)

Was Sie abziehen:

  • Außerordentliche Erträge (Verkaufserlöse über Buchwert)
  • Kalkulatorischer Unternehmerlohn (wichtigster Punkt!)
  • Kalkulatorische Miete für eigene Räume
  • Kalkulatorische Abschreibungen und Zinsen

Schritt 2: Kalkulatorischen Unternehmerlohn berechnen

Der kalkulatorische Unternehmerlohn ist oft der größte Kostenblock bei der Firmenbewertung. So berechnen Sie ihn nach AWH-Standard:

Berechnungsformel für den kalkulatorischen Unternehmerlohn:

  1. Basis: Monatlicher Meisterlohn nach Tarif
  2. + 20% für Arbeitgeberanteile Sozialversicherung
  3. + 20-50% Unternehmer-Zuschlag

Praktisches Beispiel:

Meisterlohn: 4.500 € × 12 = 54.000 €

Sozialversicherung: 54.000 € × 20% = 10.800 €

Unternehmer-Zuschlag (30%): 54.000 € × 30% = 16.200 €

Kalkulatorischer Unternehmerlohn: 81.000 €

Schritt 3: Gewichtung der Betriebsergebnisse

Die AWH-Methode gewichtet die Jahre unterschiedlich — aktuellere Ergebnisse zählen mehr:

  • Jahr -3: 10% Gewichtung
  • Jahr -2: 20% Gewichtung
  • Jahr -1: 30% Gewichtung
  • Aktuelles Jahr: 40% Gewichtung

Diese Gewichtung macht Sinn: Aktuelle Zahlen sagen mehr über die Zukunft aus als vier Jahre alte Ergebnisse.

Den richtigen Kapitalisierungszinssatz ermitteln

Zusammensetzung des Zinssatzes

Der Kapitalisierungszinssatz besteht aus mehreren Komponenten:

Kapitalisierungszinssatz = Basiszinssatz + Immobilitätszuschlag + Risikozuschläge + Inhaberabhängigkeit

1. Basiszinssatz

Der Basiszinssatz orientiert sich an der Rendite öffentlicher Anleihen:

  • 2024: ca. 3,5%
  • 2023: 2,39%
  • 2022: -0,05%

2. Immobilitätszuschlag

Berücksichtigt die schwerere Verkäuflichkeit von Handwerksbetrieben gegenüber Aktien:

  • Standard: 1-3%
  • Anlagenintensive Betriebe: bis 3%
  • Dienstleistungsbetriebe: 1-2%

3. Risikozuschläge (je 0-3%)

Die AWH-Methode bewertet acht Risikofaktoren:

  1. Kundenabhängigkeit: Abhängigkeit von Großkunden
  2. Produkt- und Leistungsangebot: Zukunftsfähigkeit
  3. Branchenentwicklung: Konjunktur und Markttrends
  4. Standort und Wettbewerb: Konkurrenzsituation
  5. Betriebsausstattung: Modernität der Maschinen
  6. Beschäftigtenstruktur: Qualifikation und Alter
  7. Personenabhängigkeit: Abhängigkeit von Schlüsselmitarbeitern
  8. Sonstige Risiken: Gewährleistung, Haftung

4. Inhaberabhängigkeit (0-30%)

Dies ist meist der größte Einzelfaktor bei der Unternehmensbewertung im Handwerk.

Die Inhaberabhängigkeit wird anhand von 10 Kriterien bewertet (Schulnoten 1-6):

  • Wichtige Kunden
  • Hauptlieferanten
  • Bankbeziehungen
  • Technisches Know-how
  • Kaufmännisches Know-how
  • Produkt-/Sortimentsgestaltung
  • Arbeitsabläufe/Auftragskoordination
  • Produktive Mitarbeit
  • Stellvertreterregelung
  • Stellung im Umfeld

Formel: Zuschlag = -6% × Durchschnittsnote + 36%

Praxisbeispiel: Firmenbewertung berechnen für einen Metallbaubetrieb

Nehmen wir einen typischen Metallbaubetrieb mit 10 Mitarbeitern:

Ausgangsdaten:

  • 2020: 80.000 € bereinigtes Ergebnis
  • 2021: 90.000 € bereinigtes Ergebnis
  • 2022: 110.000 € bereinigtes Ergebnis
  • 2023: 120.000 € bereinigtes Ergebnis

Berechnung des gewichteten Betriebsergebnisses:

(80.000 € × 0,1) + (90.000 € × 0,2) + (110.000 € × 0,3) + (120.000 € × 0,4)

= 8.000 € + 18.000 € + 33.000 € + 48.000 €

= 107.000 €

Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes:

  • Basiszinssatz: 3,5%
  • Immobilitätszuschlag: 2,0%
  • Risikozuschläge: 8,5%
  • Inhaberabhängigkeit: 18,0%
  • Gesamt: 32,0%

Unternehmenswert:

Ertragswert = 107.000 € ÷ 0,32 = 334.375 €

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Häufige Fragen zur Unternehmensbewertung im Handwerk

Wie hoch sollte der kalkulatorische Unternehmerlohn sein?

Der kalkulatorische Unternehmerlohn orientiert sich an dem Gehalt einer vergleichbaren Führungskraft. Als Faustregel gilt: Meisterlohn + 20% Sozialabgaben + 20-50% Unternehmer-Zuschlag.

Typische Werte für 2024:

  • Kleinbetriebe (bis 1 Mio € Umsatz): 60.000-80.000 €
  • Mittlere Betriebe (1-2,5 Mio € Umsatz): 80.000-120.000 €
  • Größere Betriebe (über 2,5 Mio € Umsatz): 120.000-180.000 €

Warum ist die AWH-Bewertung oft niedriger als andere Methoden?

Die AWH-Methode berücksichtigt handwerkstypische Risiken stärker — besonders die Inhaberabhängigkeit. Studien zeigen jedoch: AWH-Werte liegen näher an tatsächlich realisierten Verkaufspreisen als andere Verfahren.

Laut einer Untersuchung von 48 verkauften Handwerksbetrieben: Der AWH-Unternehmenswert wich im Durchschnitt nur um 5.980 € vom tatsächlichen Verkaufspreis ab.

Wie oft sollte ich meinen Betrieb bewerten lassen?

  • Bei Betriebsübergabe: Spätestens 2-3 Jahre vorher
  • Für Versicherungen: Alle 3-5 Jahre
  • Bei größeren Investitionen: Vor und nach der Investition
  • Für Kreditverhandlungen: Bei Bedarf

Wann brauchen Sie eine Unternehmensbewertung?

Typische Anlässe für eine Firmenbewertung:

Betriebsübergabe und Nachfolge (mehr zu diesem Thema finden Sie hier)

  • Verkauf an externe Nachfolger
  • Übergabe an Familienmitglieder
  • Übertragung an Mitarbeiter

Steuerliche Anlässe:

  • Schenkung und Erbschaft
  • Gesellschafterwechsel
  • Umwandlungen

Geschäftliche Anlässe:

  • Kreditverhandlungen
  • Partnersuche
  • Versicherungsabschluss
  • Strategische Planung

Die 10 häufigsten Fehler bei der Unternehmensbewertung im Handwerk

1. Kalkulatorischen Unternehmerlohn zu niedrig ansetzen

Fehler: Nur den Mindestlohn berücksichtigen
Richtig: Marktübliche Vergütung für Führungskraft ansetzen

2. Inhaberabhängigkeit unterschätzen

Fehler: Eigene Unersetzlichkeit nicht ehrlich bewerten
Richtig: Realistische Einschätzung der Abhängigkeiten

3. Veraltete Zahlen verwenden

Fehler: Bewertung auf Basis alter Jahresabschlüsse
Richtig: Aktuelle Betriebswirtschaftliche Auswertung einbeziehen

4. Regionale Besonderheiten ignorieren

Fehler: Bundesweite Durchschnitte blind übernehmen
Richtig: Lokale Marktgegebenheiten berücksichtigen

5. Substanzwert vernachlässigen

Fehler: Nur den Ertragswert betrachten
Richtig: Ertragswert mit Substanzwert vergleichen

Wichtige Unterlagen für die Bewertung:

  • Jahresabschlüsse der letzten 4 Jahre
  • Aktuelle BWA
  • Anlagenverzeichnis
  • Kundenliste (anonymisiert)
  • Mietverträge und Leasingverträge
  • Versicherungsverträge

Zukunftstrends bei der Unternehmensbewertung im Handwerk

Digitalisierung verändert Bewertungen:

  • Höhere Bewertung für digitalisierte Betriebe
  • Software und Datenbanken als neue Vermögenswerte
  • Online-Vertriebskanäle als Wettbewerbsvorteil

Nachhaltigkeitsaspekte gewinnen an Bedeutung:

  • Energieeffizienz wird zum Bewertungsfaktor
  • Umweltzertifikate erhöhen den Unternehmenswert
  • Nachhaltige Geschäftsmodelle erzielen höhere Multiplikatoren

Fachkräftemangel als Bewertungsrisiko:

  • Personalstruktur wird kritischer bewertet
  • Ausbildungsquote als positiver Faktor
  • Mitarbeiterbindung beeinflusst Inhaberabhängigkeit

Fazit: Die Ertragswertmethode als Basis für wichtige Unternehmensentscheidungen

Die Ertragswertmethode nach AWH-Standard ist das bewährteste Verfahren zur Unternehmensbewertung im Handwerk. Sie liefert realistische, von Banken und Behörden anerkannte Werte, die als solide Grundlage für wichtige Geschäftsentscheidungen dienen.

Die wichtigsten Erkenntnisse für Sie als Handwerksunternehmer:

Planen Sie frühzeitig: Eine Unternehmensbewertung ist kein einmaliges Ereignis, sondern sollte regelmäßig aktualisiert werden — besonders im Hinblick auf eine geplante Betriebsübergabe.

Arbeiten Sie wertsteigernd: Verstehen Sie die Bewertungsfaktoren und arbeiten Sie gezielt daran, den Wert Ihres Betriebs zu steigern — weniger Inhaberabhängigkeit, modernere Ausstattung und eine stabile Kundenstruktur zahlen sich buchstäblich aus.

Denken Sie langfristig: Laut Studien der Handwerkskammern planen 29% der Betriebsinhaber eine Übergabe in den nächsten fünf Jahren. Wer frühzeitig plant und seinen Betriebswert kennt, hat die besten Karten für eine erfolgreiche Nachfolgelösung.

Die Ertragswertmethode ist mehr als nur eine Berechnungsformel — sie ist der Kompass für die Zukunft Ihres Handwerksbetriebs. Nutzen Sie sie als Planungsinstrument und Grundlage für alle wichtigen Unternehmensentscheidungen.