Die Ertragswertmethode nach AWH-Standard ist das bewährteste Verfahren, um den Unternehmenswert im Handwerk zu berechnen. Dieser Leitfaden zeigt Ihnen Schritt für Schritt, wie Sie eine präzise Firmenbewertung berechnen — von der Ermittlung kalkulatorischer Kosten bis zur praktischen Anwendung bewährter Faustformeln. Als Handwerksunternehmer erhalten Sie konkrete Werkzeuge zur Unternehmensbewertung und verstehen, warum diese Methode von Banken, Steuerberatern und der Finanzverwaltung anerkannt wird.
Was ist die Ertragswertmethode und warum sollten Sie als Handwerker diese kennen?
Stellen Sie sich vor: Ihr Handwerksbetrieb ist wie ein gut geöltes Werkzeug — sein wahrer Wert liegt nicht nur in den Maschinen und Werkzeugen, sondern vor allem in seiner Fähigkeit, kontinuierlich Einkommen zu erzeugen. Genau das misst die Ertragswertmethode.
Die Ertragswertmethode ist das Standardverfahren zur Unternehmensbewertung im Handwerk. Sie berechnet den Unternehmenswert anhand der zukünftigen Ertragskraft und berücksichtigt dabei handwerkstypische Besonderheiten wie Inhaberabhängigkeit und Betriebsrisiken.
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Warum ist die Ertragswertmethode für Handwerksbetriebe so wichtig?
- Banken akzeptieren sie: Für Kredite und Finanzierungen
- Steuerberater nutzen sie: Bei Betriebsübergaben und Erbschaftsfällen
- Käufer verstehen sie: Als nachvollziehbare Bewertungsgrundlage
- Versicherungen anerkennen sie: Für Betriebsausfallversicherungen
Die AWH-Methode (Arbeitsgemeinschaft der Wertermittelnden Betriebsberater im Handwerk) wurde speziell für die Besonderheiten von Handwerksbetrieben entwickelt und ist heute der Goldstandard für die Unternehmensbewertung im Handwerk.
Die AWH-Formel: Wie Sie den Unternehmenswert berechnen
Die Grundformel der Ertragswertmethode
Die Berechnung des Unternehmenswerts nach der AWH-Methode folgt einer klaren, wissenschaftlich fundierten Formel:
Ertragswert = Gewichtetes Betriebsergebnis ÷ Kapitalisierungszinssatz
Aufgeschlüsselt bedeutet das:
Ertragswert = (0,1×BE₋₃ + 0,2×BE₋₂ + 0,3×BE₋₁ + 0,4×BE₀) ÷ (r + z)
Wobei:
- BE = Bereinigte Betriebsergebnisse der letzten vier Jahre
- r = Basiszinssatz
- z = Risikozuschläge (inklusive Inhaberabhängigkeit)
Faustformel für eine schnelle Unternehmenswert-Schätzung
Für eine erste, grobe Einschätzung können Sie folgende Faustformel verwenden:
Unternehmenswert ≈ Jahresgewinn × 3 bis 8
Der Multiplikator hängt ab von:
- Branche und Marktposition (3-5 für traditionelle Gewerke)
- Inhaberabhängigkeit (je höher, desto niedriger der Multiplikator)
- Betriebsgröße (größere Betriebe erzielen höhere Multiplikatoren)
- Zukunftsaussichten (wachsende Märkte = höhere Bewertung)
Achtung: Diese Faustformel ersetzt keine professionelle Bewertung, gibt Ihnen aber eine erste Orientierung.
Schritt-für-Schritt-Anleitung: Unternehmenswert ermitteln
Schritt 1: Bereinigte Betriebsergebnisse ermitteln
Zunächst müssen Sie Ihre Jahresergebnisse der letzten vier Jahre "bereinigen":
Was Sie hinzurechnen:
- Außerordentliche Aufwendungen (einmalige Schäden, Verluste)
- Zu hohe Geschäftsführergehälter bei GmbHs
- Private Nutzungsanteile (Fahrzeuge, Telefon)
Was Sie abziehen:
- Außerordentliche Erträge (Verkaufserlöse über Buchwert)
- Kalkulatorischer Unternehmerlohn (wichtigster Punkt!)
- Kalkulatorische Miete für eigene Räume
- Kalkulatorische Abschreibungen und Zinsen
Schritt 2: Kalkulatorischen Unternehmerlohn berechnen
Der kalkulatorische Unternehmerlohn ist oft der größte Kostenblock bei der Firmenbewertung. So berechnen Sie ihn nach AWH-Standard:
Berechnungsformel für den kalkulatorischen Unternehmerlohn:
- Basis: Monatlicher Meisterlohn nach Tarif
- + 20% für Arbeitgeberanteile Sozialversicherung
- + 20-50% Unternehmer-Zuschlag
Praktisches Beispiel:
Meisterlohn: 4.500 € × 12 = 54.000 €
Sozialversicherung: 54.000 € × 20% = 10.800 €
Unternehmer-Zuschlag (30%): 54.000 € × 30% = 16.200 €
Kalkulatorischer Unternehmerlohn: 81.000 €
Schritt 3: Gewichtung der Betriebsergebnisse
Die AWH-Methode gewichtet die Jahre unterschiedlich — aktuellere Ergebnisse zählen mehr:
- Jahr -3: 10% Gewichtung
- Jahr -2: 20% Gewichtung
- Jahr -1: 30% Gewichtung
- Aktuelles Jahr: 40% Gewichtung
Diese Gewichtung macht Sinn: Aktuelle Zahlen sagen mehr über die Zukunft aus als vier Jahre alte Ergebnisse.
Den richtigen Kapitalisierungszinssatz ermitteln
Zusammensetzung des Zinssatzes
Der Kapitalisierungszinssatz besteht aus mehreren Komponenten:
Kapitalisierungszinssatz = Basiszinssatz + Immobilitätszuschlag + Risikozuschläge + Inhaberabhängigkeit
1. Basiszinssatz
Der Basiszinssatz orientiert sich an der Rendite öffentlicher Anleihen:
- 2024: ca. 3,5%
- 2023: 2,39%
- 2022: -0,05%
2. Immobilitätszuschlag
Berücksichtigt die schwerere Verkäuflichkeit von Handwerksbetrieben gegenüber Aktien:
- Standard: 1-3%
- Anlagenintensive Betriebe: bis 3%
- Dienstleistungsbetriebe: 1-2%
3. Risikozuschläge (je 0-3%)
Die AWH-Methode bewertet acht Risikofaktoren:
- Kundenabhängigkeit: Abhängigkeit von Großkunden
- Produkt- und Leistungsangebot: Zukunftsfähigkeit
- Branchenentwicklung: Konjunktur und Markttrends
- Standort und Wettbewerb: Konkurrenzsituation
- Betriebsausstattung: Modernität der Maschinen
- Beschäftigtenstruktur: Qualifikation und Alter
- Personenabhängigkeit: Abhängigkeit von Schlüsselmitarbeitern
- Sonstige Risiken: Gewährleistung, Haftung
4. Inhaberabhängigkeit (0-30%)
Dies ist meist der größte Einzelfaktor bei der Unternehmensbewertung im Handwerk.
Die Inhaberabhängigkeit wird anhand von 10 Kriterien bewertet (Schulnoten 1-6):
- Wichtige Kunden
- Hauptlieferanten
- Bankbeziehungen
- Technisches Know-how
- Kaufmännisches Know-how
- Produkt-/Sortimentsgestaltung
- Arbeitsabläufe/Auftragskoordination
- Produktive Mitarbeit
- Stellvertreterregelung
- Stellung im Umfeld
Formel: Zuschlag = -6% × Durchschnittsnote + 36%
Praxisbeispiel: Firmenbewertung berechnen für einen Metallbaubetrieb
Nehmen wir einen typischen Metallbaubetrieb mit 10 Mitarbeitern:
Ausgangsdaten:
- 2020: 80.000 € bereinigtes Ergebnis
- 2021: 90.000 € bereinigtes Ergebnis
- 2022: 110.000 € bereinigtes Ergebnis
- 2023: 120.000 € bereinigtes Ergebnis
Berechnung des gewichteten Betriebsergebnisses:
(80.000 € × 0,1) + (90.000 € × 0,2) + (110.000 € × 0,3) + (120.000 € × 0,4)
= 8.000 € + 18.000 € + 33.000 € + 48.000 €
= 107.000 €
Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes:
- Basiszinssatz: 3,5%
- Immobilitätszuschlag: 2,0%
- Risikozuschläge: 8,5%
- Inhaberabhängigkeit: 18,0%
- Gesamt: 32,0%
Unternehmenswert:
Ertragswert = 107.000 € ÷ 0,32 = 334.375 €
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Häufige Fragen zur Unternehmensbewertung im Handwerk
Wie hoch sollte der kalkulatorische Unternehmerlohn sein?
Der kalkulatorische Unternehmerlohn orientiert sich an dem Gehalt einer vergleichbaren Führungskraft. Als Faustregel gilt: Meisterlohn + 20% Sozialabgaben + 20-50% Unternehmer-Zuschlag.
Typische Werte für 2024:
- Kleinbetriebe (bis 1 Mio € Umsatz): 60.000-80.000 €
- Mittlere Betriebe (1-2,5 Mio € Umsatz): 80.000-120.000 €
- Größere Betriebe (über 2,5 Mio € Umsatz): 120.000-180.000 €
Warum ist die AWH-Bewertung oft niedriger als andere Methoden?
Die AWH-Methode berücksichtigt handwerkstypische Risiken stärker — besonders die Inhaberabhängigkeit. Studien zeigen jedoch: AWH-Werte liegen näher an tatsächlich realisierten Verkaufspreisen als andere Verfahren.
Laut einer Untersuchung von 48 verkauften Handwerksbetrieben: Der AWH-Unternehmenswert wich im Durchschnitt nur um 5.980 € vom tatsächlichen Verkaufspreis ab.
Wie oft sollte ich meinen Betrieb bewerten lassen?
- Bei Betriebsübergabe: Spätestens 2-3 Jahre vorher
- Für Versicherungen: Alle 3-5 Jahre
- Bei größeren Investitionen: Vor und nach der Investition
- Für Kreditverhandlungen: Bei Bedarf
Wann brauchen Sie eine Unternehmensbewertung?
Typische Anlässe für eine Firmenbewertung:
Betriebsübergabe und Nachfolge (mehr zu diesem Thema finden Sie hier)
- Verkauf an externe Nachfolger
- Übergabe an Familienmitglieder
- Übertragung an Mitarbeiter
Steuerliche Anlässe:
- Schenkung und Erbschaft
- Gesellschafterwechsel
- Umwandlungen
Geschäftliche Anlässe:
- Kreditverhandlungen
- Partnersuche
- Versicherungsabschluss
- Strategische Planung
Die 10 häufigsten Fehler bei der Unternehmensbewertung im Handwerk
1. Kalkulatorischen Unternehmerlohn zu niedrig ansetzen
Fehler: Nur den Mindestlohn berücksichtigen
Richtig: Marktübliche Vergütung für Führungskraft ansetzen
2. Inhaberabhängigkeit unterschätzen
Fehler: Eigene Unersetzlichkeit nicht ehrlich bewerten
Richtig: Realistische Einschätzung der Abhängigkeiten
3. Veraltete Zahlen verwenden
Fehler: Bewertung auf Basis alter Jahresabschlüsse
Richtig: Aktuelle Betriebswirtschaftliche Auswertung einbeziehen
4. Regionale Besonderheiten ignorieren
Fehler: Bundesweite Durchschnitte blind übernehmen
Richtig: Lokale Marktgegebenheiten berücksichtigen
5. Substanzwert vernachlässigen
Fehler: Nur den Ertragswert betrachten
Richtig: Ertragswert mit Substanzwert vergleichen
Wichtige Unterlagen für die Bewertung:
- Jahresabschlüsse der letzten 4 Jahre
- Aktuelle BWA
- Anlagenverzeichnis
- Kundenliste (anonymisiert)
- Mietverträge und Leasingverträge
- Versicherungsverträge
Zukunftstrends bei der Unternehmensbewertung im Handwerk
Digitalisierung verändert Bewertungen:
- Höhere Bewertung für digitalisierte Betriebe
- Software und Datenbanken als neue Vermögenswerte
- Online-Vertriebskanäle als Wettbewerbsvorteil
Nachhaltigkeitsaspekte gewinnen an Bedeutung:
- Energieeffizienz wird zum Bewertungsfaktor
- Umweltzertifikate erhöhen den Unternehmenswert
- Nachhaltige Geschäftsmodelle erzielen höhere Multiplikatoren
Fachkräftemangel als Bewertungsrisiko:
- Personalstruktur wird kritischer bewertet
- Ausbildungsquote als positiver Faktor
- Mitarbeiterbindung beeinflusst Inhaberabhängigkeit
Fazit: Die Ertragswertmethode als Basis für wichtige Unternehmensentscheidungen
Die Ertragswertmethode nach AWH-Standard ist das bewährteste Verfahren zur Unternehmensbewertung im Handwerk. Sie liefert realistische, von Banken und Behörden anerkannte Werte, die als solide Grundlage für wichtige Geschäftsentscheidungen dienen.
Die wichtigsten Erkenntnisse für Sie als Handwerksunternehmer:
Planen Sie frühzeitig: Eine Unternehmensbewertung ist kein einmaliges Ereignis, sondern sollte regelmäßig aktualisiert werden — besonders im Hinblick auf eine geplante Betriebsübergabe.
Arbeiten Sie wertsteigernd: Verstehen Sie die Bewertungsfaktoren und arbeiten Sie gezielt daran, den Wert Ihres Betriebs zu steigern — weniger Inhaberabhängigkeit, modernere Ausstattung und eine stabile Kundenstruktur zahlen sich buchstäblich aus.
Denken Sie langfristig: Laut Studien der Handwerkskammern planen 29% der Betriebsinhaber eine Übergabe in den nächsten fünf Jahren. Wer frühzeitig plant und seinen Betriebswert kennt, hat die besten Karten für eine erfolgreiche Nachfolgelösung.
Die Ertragswertmethode ist mehr als nur eine Berechnungsformel — sie ist der Kompass für die Zukunft Ihres Handwerksbetriebs. Nutzen Sie sie als Planungsinstrument und Grundlage für alle wichtigen Unternehmensentscheidungen.