Unternehmenswert ermitteln: Der Leitfaden für Handwerksbetriebe

06.08.2024

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Die Ermittlung des Unternehmenswertes ist für jeden Handwerksbetrieb ein entscheidender Schritt – sei es für die Betriebsübergabe, den Verkauf oder die Nachfolgeplanung. In diesem umfassenden Leitfaden erfahren Sie, wie Sie den Unternehmenswert berechnen können, welche bewährten Methoden und Faustformeln sich für Handwerksbetriebe eignen, und wie Sie häufige Bewertungsfehler vermeiden. Mit dem richtigen Vorgehen entwickeln Sie eine fundierte Preisvorstellung für Ihr Lebenswerk.


Was ist der Unternehmenswert und warum sollten Sie ihn kennen?

"Was ist mein Betrieb eigentlich wert?" – Diese Frage beschäftigt jeden Handwerksmeister früher oder später. Der Unternehmenswert ist mehr als nur eine Zahl auf dem Papier. Er ist die objektive Einschätzung dessen, was Ihr Lebenswerk auf dem Markt wert ist.

Warum die Ermittlung des Unternehmenswertes so wichtig ist:

  • Realistische Preisvorstellungen entwickeln – Vermeiden Sie zu hohe oder zu niedrige Erwartungen
  • Verhandlungsposition stärken – Mit fundierten Zahlen überzeugen Sie potenzielle Käufer
  • Nachfolgeplanung optimieren – Planen Sie die Übergabe rechtzeitig und strukturiert
  • Finanzierung erleichtern – Banken benötigen verlässliche Bewertungen
  • Steuerliche Aspekte berücksichtigen – Optimieren Sie Ihre Steuerlast

Die Herausforderung: Übergeber schätzen ihren Betrieb oft zu hoch ein, während Käufer den Wert zu niedrig ansetzen. Eine objektive Unternehmensbewertung schafft hier Klarheit.

Wie kann ich meinen Unternehmenswert berechnen? Die bewährtesten Methoden

Der AWH-Standard: Die Referenz für das Handwerk

Für Handwerksbetriebe hat sich der AWH-Standard (Arbeitsgemeinschaft der Wert ermittelnden Betriebsberater im Handwerk) als bewährte Methode etabliert. Dieser Standard kombiniert zwei zentrale Bewertungsansätze:

1. Die Substanzwertmethode

Der Substanzwert erfasst den Zeitwert aller materiellen Vermögensgegenstände:

  • Maschinen und Anlagen
  • Werkzeuge und Geräte
  • Betriebs- und Geschäftsausstattung
  • Fahrzeuge
  • Warenbestand
So berechnen Sie den Substanzwert:

Berücksichtigen Sie bei jedem Gegenstand:

  • Ursprünglichen Anschaffungspreis
  • Alter und Abnutzungsgrad
  • Betriebliche Nutzungsdauer (BND)
  • Aktuelle Marktpreise für vergleichbare Neugeräte

Praxisbeispiel: Eine 8 Jahre alte CNC-Fräse mit ursprünglich 50.000 € Anschaffungswert wird bei einer 15-jährigen Nutzungsdauer und gutem Zustand mit etwa 24.000 € bewertet.

2. Die Ertragswertmethode

Die Ertragswertmethode basiert auf den zukünftigen Erträgen und ist meist wichtiger als der Substanzwert.

Schritt-für-Schritt-Berechnung:
Schritt 1: Bereinigung der Betriebsergebnisse

Jahresüberschuss

+ außerordentliche Aufwendungen

- außerordentliche Erträge

- kalkulatorischer Unternehmerlohn

- kalkulatorische Miete

- kalkulatorische Abschreibungen

- kalkulatorische Zinsen

= bereinigtes Betriebsergebnis

Schritt 2: Gewichtung der Jahre
  • Aktuellstes Jahr: 40%
  • Vorjahr: 30%
  • Vorletztes Jahr: 20%
  • Vorvorletztes Jahr: 10%
Schritt 3: Kapitalisierungszinssatz bestimmen Basiszinssatz (ca. 3,1%) + Risikozuschläge für:
  • Kundenabhängigkeit (0-3%)
  • Branchenentwicklung (0-3%)
  • Betriebsausstattung (0-3%)
  • Inhaberabhängigkeit (0-30%)

Unternehmenswert berechnen: Die Faustformel

Die einfache Faustformel für Handwerksbetriebe:

Ertragswert = Prognostizierter Gewinn nach Steuern ÷ Kapitalisierungszinssatz × 100

Beispielrechnung:

  • Bereinigter Jahresgewinn: 80.000 €
  • Kapitalisierungszinssatz: 20%
  • Ertragswert: 80.000 € ÷ 20 × 100 = 400.000 €

Der finale Unternehmenswert entspricht normalerweise dem Ertragswert, jedoch mindestens dem Substanzwert.

Firmenbewertung berechnen: Was macht Handwerksbetriebe besonders?

Die Herausforderungen bei der Unternehmensbewertung im Handwerk

Handwerksbetriebe haben spezifische Eigenschaften, die eine besondere Bewertung erfordern:

1. Starke Inhaberabhängigkeit Der Betriebserfolg hängt oft direkt vom Inhaber ab – sein Fachwissen, seine Kundenbeziehungen und seine Führungsqualitäten sind entscheidend. Der AWH-Standard berücksichtigt dies mit einem speziellen Zuschlag von 0-30% zum Kapitalisierungszinssatz.

2. Begrenzte Betriebsgröße Die überschaubare Größe ermöglicht Flexibilität, bedeutet aber auch höhere Risiken bei Personalausfall oder Marktveränderungen.

3. Kalkulatorischer Unternehmerlohn Bei Einzelunternehmen muss ein angemessener Unternehmerlohn berücksichtigt werden, auch wenn er in der Gewinn- und Verlustrechnung nicht ausgewiesen ist.

4. Eingeschränkte Datenbasis Oft fehlen detaillierte Planungsrechnungen, weshalb hauptsächlich auf bereinigte Vergangenheitswerte zurückgegriffen wird.

Besondere Risikofaktoren bewerten

Die wichtigsten Bewertungsrisiken:

  • Kundenkonzentration – Abhängigkeit von wenigen Großkunden
  • Fachkräftemangel – Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter
  • Standortfaktoren – Konkurrenzsituation und regionale Entwicklung
  • Branchentrends – Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells
  • Technologiewandel – Notwendige Investitionen in moderne Ausstattung


Häufige Fehler bei der Unternehmensbewertung – und wie Sie sie vermeiden

Die 5 größten Bewertungsfehler

1. Emotionale Überbewertung Fehler: Jahrzehntelange Aufbauarbeit wird überbewertet Lösung: Objektive Marktbetrachtung und professionelle Bewertung

2. Falscher Unternehmerlohn Fehler: Kein oder zu niedriger kalkulatorischer Unternehmerlohn Lösung: Marktübliches Geschäftsführergehalt ansetzen

3. Inhaberabhängigkeit unterschätzen Fehler: Risiko wird nicht ausreichend berücksichtigt Lösung: Ehrliche Einschätzung der eigenen Unersetzbarkeit

4. Investitionsstau ignorieren Fehler: Aufgeschobene Investitionen werden übersehen Lösung: Vollständige Erfassung des Investitionsbedarfs

5. Verwechslung von Asset Deal und Share Deal Fehler: Unterschiedliche Bewertungsansätze werden vermischt Lösung: Klare Definition der Verkaufsstruktur

Wie bereite ich mich optimal auf eine Unternehmensbewertung vor?

Unterlagen systematisch sammeln

Finanzielle Unterlagen:

  • Jahresabschlüsse der letzten 3-4 Jahre
  • Betriebswirtschaftliche Auswertungen (BWA)
  • Inventarlisten mit Anschaffungsdaten
  • Miet- und Pachtverträge

Operative Unterlagen:

  • Mitarbeiterlisten mit Qualifikationen
  • Kundenlisten und Vertragsdaten
  • Lieferantenverträge
  • Gesellschaftsverträge (bei Gesellschaften)

Den Betrieb optimal präsentieren

Technische Vorbereitung:

  • Maschinen und Einrichtung in gutem Zustand
  • Funktionsfähigkeit aller Anlagen sicherstellen
  • Fotos von wichtigen Ausrüstungen erstellen
  • Wartungsdokumentation bereithalten

Wertsteigernde Faktoren herausarbeiten:

  • Stammkundenbasis – Dokumentieren Sie langfristige Kundenbeziehungen
  • Qualifizierte Mitarbeiter – Zeigen Sie Ihre Personalstärke auf
  • Alleinstellungsmerkmale – Heben Sie Ihre Besonderheiten hervor
  • Marktposition – Belegen Sie Ihre Wettbewerbsvorteile

Professionelle Unterstützung finden: Wer kann mir helfen?

Ihre Optionen im Überblick

Handwerkskammern

  • Bieten oft kostenlose Bewertungen nach AWH-Standard
  • Spezialisiert auf Handwerksbetriebe
  • Hohe Akzeptanz bei Banken und Behörden

Fachverbände

  • Branchenspezifisches Wissen
  • Oft vergünstigte Beratung für Mitglieder

Steuerberater und Wirtschaftsprüfer

  • Kostenpflichtig, aber sehr fundiert
  • Auch für steuerliche Aspekte geeignet

Spezialisierte Bewertungsexperten

  • Für komplexe Fälle
  • Gerichtsfeste Gutachten möglich


Unternehmensbewertung Handwerk online: Moderne Tools nutzen

Digitale Bewertungshilfen

Moderne Online-Tools können eine erste Orientierung bieten:

Vorteile digitaler Bewertung:

  • Schnelle erste Einschätzung
  • 24/7 verfügbar
  • Kosteneffizient

Grenzen beachten:

  • Ersetzen keine professionelle Bewertung
  • Berücksichtigen nicht alle Handwerk-Spezifika
  • Rechtlich nicht bindend

Nutzen Sie doch einfach unseren kostenlosen Online-Rechner für die Unternehmensbwertung Ihres Handwerkbetriebs

Den Unternehmenswert steigern: Strategische Maßnahmen vor der Übergabe

Wertsteigernde Strategien

Mittelfristige Maßnahmen (2-5 Jahre vor Übergabe):

Inhaberabhängigkeit reduzieren
  • Zweite Führungsebene aufbauen
  • Prozesse dokumentieren
  • Verantwortung delegieren
Kundenbasis diversifizieren
  • Neue Kundengruppen erschließen
  • Abhängigkeit von Großkunden reduzieren
  • Langfristige Verträge abschließen
Betrieb modernisieren
  • In neue Technologien investieren
  • Digitalisierung vorantreiben
  • Qualitätssysteme implementieren
Team stärken
  • Fachkräfte ausbilden und binden
  • Nachfolger für Schlüsselpositionen entwickeln
  • Unternehmenskultur festigen

Praktisches Beispiel: Firmenbewertung eines Handwerksbetriebs

Fallstudie: Elektroinstallationsbetrieb

Ausgangssituation:

  • 15 Mitarbeiter
  • Jahresumsatz: 1,8 Mio. €
  • Gewinn vor Steuern: 180.000 €
  • Gründung: 1995
  • Starke Inhaberabhängigkeit

Substanzwertermittlung:

  • Werkstattausstattung: 150.000 €
  • Fahrzeuge: 200.000 €
  • Lagerbestand: 80.000 €
  • Substanzwert gesamt: 430.000 €

Ertragswertermittlung:

  • Bereinigter Gewinn: 120.000 € (nach Unternehmerlohn)
  • Kapitalisierungszinssatz: 22% (inkl. 15% Inhaberabhängigkeit)
  • Ertragswert: 545.000 €

Unternehmenswert: 545.000 € (Ertragswert als Maßgabe)

FAQ: Die wichtigsten Fragen zur Unternehmensbewertung

Wie hoch ist der typische Kapitalisierungszinssatz für Handwerksbetriebe?

Im Handwerk liegt der Zinssatz meist zwischen 15% und 25%, abhängig von den individuellen Risikofaktoren des Betriebs. Sie können unseren speziell für das Handwerk entwickelten Rechner verwenden, um Ihren Kapitalisierungszinssatz zu berechnen.

Welche Rolle spielt der Kundenstamm bei der Bewertung?

Ein breiter, treuer Kundenstamm erhöht den Wert deutlich und senkt den Risikozuschlag für Kundenabhängigkeit. Dokumentieren Sie langfristige Kundenbeziehungen.

Wie wirkt sich die Übergabe an Familienmitglieder auf die Bewertung aus?

Der Bewertungsprozess bleibt derselbe, jedoch können steuerliche Vorteile und spezielle Nachfolgeregelungen genutzt werden.

Kann ich den Wert meines Betriebs vor der Übergabe noch steigern?

Ja, durch strategische Maßnahmen wie:

  • Reduzierung der Inhaberabhängigkeit
  • Dokumentation von Prozessen
  • Aufbau einer zweiten Führungsebene
  • Gezielte Investitionen

Wie oft sollte eine Unternehmensbewertung aktualisiert werden?

Grundsätzlich alle 2-3 Jahre oder bei wesentlichen Änderungen (neue Märkte, Investitionen, Personalveränderungen).

Was kostet eine professionelle Unternehmensbewertung?

  • Handwerkskammern: oft kostenlos für Mitglieder
  • Steuerberater: 2.000-5.000 €
  • Spezialisierte Gutachter: 3.000-8.000 €
  • Kostenlos bei handwerk-unternehmenswert.de

Fazit: Mit dem richtigen Vorgehen zu einer realistischen Bewertung

Die Ermittlung des Unternehmenswertes ist keine Guesswork – sie ist handwerkliche Präzision angewandt auf Ihr Lebenswerk. Mit dem AWH-Standard haben Sie ein erprobtes Werkzeug, das von Banken und Finanzverwaltungen anerkannt wird.

Die wichtigsten Erfolgsfaktoren:

Objektive Betrachtung statt emotionaler Bewertung

Professionelle Unterstützung durch Handwerkskammer oder Berater

Rechtzeitige Planung für Wertsteigerungsmaßnahmen

Vollständige Dokumentation aller bewertungsrelevanten Faktoren

Realistische Einschätzung der Inhaberabhängigkeit

Ihre nächsten Schritte: Kontaktieren Sie Ihre Handwerkskammer für eine erste kostenlose Bewertung nach dem AWH-Standard. Mit einer fundierten Bewertung schaffen Sie die beste Grundlage für eine erfolgreiche Betriebsübergabe oder einen angemessenen Verkaufspreis.

Denken Sie daran: Der wahre Wert Ihres Betriebs zeigt sich letztendlich in dem Preis, den ein Käufer bereit ist zu zahlen. Eine professionelle Bewertung hilft Ihnen dabei, diesen Preis realistisch einzuschätzen und erfolgreich zu verhandeln.